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Alle vorgestellten Verschlüsselungsmethoden hatten gemeinsam, daß sie irgendwann von irgendjemandem, womöglich unter großen Anstrengungen und noch größerem Druck, geknackt wurden. So stellt sich zurecht die Frage, ob es auch derart geniale Verschlüsselungsmethoden gibt, die selbst nach heutigen, durch die Computertechnik beflügelten Gesichtspunkten unknackbar sind.
Eine solche Vorstellung, die man wohl eher als Kuriosität bezeichnen sollte, bietet das sogenannte Dorabelle Chiffre. Benutzt wurde es in einem einzigen Text den der britische Komponist Edward Elgar 1897 an seine Geliebte Dora Penny27 richtete.
Abbildung 12: Elgars "Brief" an Dora Penny
Bis heute konnte niemand diesen Brief entschlüsseln. Allerdings steht zu bedenken, daß, wie weiter oben erwähnt, bereits eine homophone Verschlüsselung bei einem entsprechend kurzen Klartext als hinreichend gutes (unknackbares?) Chiffrat gilt. Wenn noch hinzukommt, daß nur ein einziges Exemplar eines Chiffrats vorliegt, dann darf eine Dechiffrierung ohne das Wissen um die angewandte Methodik getrost als unmöglich angesehen werden. In diesem Falle kann man sie aber nicht als praxistaugliche oder „gute“ Verschlüsselungsmethodik ansehen.
Fremde Sprachen als Verschlüsselung
Ob man fremde Sprachen als schlichte, aber brauchbare Verschlüsselungsmethodik betrachten sollte, darf jeder selbst entscheiden. Die USA jedenfalls setzten im Pazifikkrieg gegen Japan ab 1942 tatsächlich Navajo Indianer ein, um die militärischen Anweisungen zu verschlüsseln28. Diese
Sprache eignete sich deshalb gut, weil sie weder mit europäischen noch mit asiatischen Sprachen verwandt ist. Außerdem werden in Navajo Verben nicht nur nach dem Subjekt, sondern auch nach dem Objekt konjugiert und enthalten Adverbien, die bereits Aufschluß darüber geben, ob der Sprecher etwas selbst erlebt hat oder nur wiedererzählt. Somit können einzelne Verben schon komplette Sätze darstellen. Die Tatsache, daß ausgerechnet die Navajo Indianer zum Einsatz kamen, hing im Übrigen auch damit zusammen, daß sie der einzige Stamm waren, der nicht zuvor durch deutsche Wissenschaftler besucht worden war. Ansonsten, so die Befürchtung, hätte Deutschland dem verbündeten Japan womöglich entscheidene Informationen zukommen lassen können.
Ein anderes und sehr populäres Beispiel für den kryptographischen Charakter einer fremden Sprache stellt wohl die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen dar. Diese wurden ansatzweise erst um das Jahr 1814 durch konkurrierende französische und englische Wissenschaftler verstanden und erst viel später zuverlässig gelesen.
Schlusswort
Im Informationszeitalter, das auf gewaltige Rechenleistungen zurückgreifen kann, besteht die Gefahr, die kognitiven Leistungen der Leute, die seit tausenden von Jahren Chiffren entwerfen und vor allem brechen, zu unterschätzen.
Der erste Schritt zur erfolgreichen Entschlüsselung jedoch bestand immer darin, Teile des Klartextes zu kennen oder zu erraten. Ob es nun an mangelnder Sorgfalt der Anwender lag oder an Schwachstellen, die vom Erfinder vorher nicht durchdacht wurden, ein Geheimnis kann noch so gut verschlüsselt sein. Es kann noch schwerer sein, es für sich zu behalten.
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